Jens Boden über seine Olympiaerfahrungen

AUTHOR: SSN Friday, February 12, 2010 TOPIC: Eisschnelllauf, Olympia

DESGphoto Jens Boden DESGphoto / L. Hagen

So kurz vor dem offiziellen Start der olympischen Winterspiele in Vancouver soll es auch einmal an der Zeit mit einem Sportler zu sprechen, der Olympia am eigenen Leib schon einmal – in seinem Fall sogar zweimal – erlebt hat.

Die olympischen Spiele in Salt Lake City (2002) sorgten für die deutschen Eisschnellläufer für eine große Überraschung als der 23-jährige Dresdener Jens Boden eine Bronzemedaille über 5000m gewann. Acht Jahre nach seinem großen Erfolg schwelgt er nun in Erinnerungen:

Ich habe an zwei olympischen Winterspielen aktiv teilgenommen – Salt Lake City 2002 (SLC) und Turin 2006. Aus meiner Sicht fanden die schöneren Spiele in SLC statt und dies hatte nicht nur mit meinen sportlichen Erfolg zu tun (Platz 3 und 5 in SLC; 20. Platz in Turin).

Die Stimmung, die Atmosphäre und die Begeisterung in der Bevölkerung waren in SLC besser. In Turin konnte man 300m vom olympischen Dorf entfernt sein und man spürte nicht, dass hier gerade olympische Spiele stattfanden. Ich werde mich daher bei den nachfolgenden Fragen mehr die OS von Salt Lake City konzentrieren, da sie für mich das prägendere Ereignis waren – auch abseits des Eises.

Welche Erwartungen hattest Du an die Spiele?

An meine ersten Olympischen Spiele hatte ich keine Erwartungen, ich war vielmehr auf dass gespannt was kommt.

Und wie war es bei der mit dem berühmten Kribbeln?

Das Kribbeln von welchem immer gesprochen wird, fing bei mir erst im Olympischen Dorf beim ersten Essen an. Als man plötzlich viele Sportler und Persönlichkeiten um sich hatte, die man bisher nicht oder nur vom Fernseher her kannte. Da erst realisierte ich, dass ich wirklich bei den Olympischen Spielen bin und nicht in einem Traum wo jeden Moment der Wecker zu klingeln droht. Bis zum „Einchecken“ in das Olympische Dorf war es wie bei einem Weltcup, man war nur unter sich.

Ich hatte zwar schon so einiges über die Erfahrungen meiner Kollegen und Trainer gehört, aber letztendlich wird man trotzdem überwältig. Als es dann so richtig mit den Olympischen Spielen losging, bin ich mir der Tragweite dieser Sportveranstaltung bewusst geworden und bei jedem Gedanken abseits des Eises an den Wettkampf verspürte ich ein Kribbeln und die Anspannung.

Wie hast Du die Sicherheitsbestimmungen vor Ort erlebt?

Die Erfahrenen sagten, dass das Sicherheitsprozedere an die Grenzkontrollen des Kalten Krieges erinnern. Uns wurde vermittelt, dass die Akkreditierung in den nächsten knapp drei Wochen wichtiger sei als der Reisepass und sie gewissermaßen ein Körperteil ist.

…und war es wirklich so schlimm?

Ja. Man brauchte diese Akkreditierung bei jeder Gelegenheit: beim Betreten der Sportanlage, des Olympischen Dorfes selbst, wenn man zum Essen wollte, musste man sie am Eingang der Mensa vorzeigen. Bei den Sportstätten und dem Olympischen Dorf wurde man immer kontrolliert wie am Flughafen, man musste sogar jedes Mal eine Funktionsprüfung des Fotoapparates vorführen. Damals steckten die Digitalkameras noch in den Kinderschuhen, daher hat mich es schon ein wenig gestört, dass ich die Filme mit Bildern der Decke im Sicherheitskontrollbereich gefüllt habe. Dies alles stand noch unter dem Einfluss des 11. September.

DESGphoto Jens Boden DESGphoto / L. Hagen

Die Einkleidung ist ja immer sehr umfangreich. Gab es vor Ort eigentlich eine Kleiderordnung?

Von deutscher Seite wurde uns vermittelt, was man im Olympischen Dorf, bei offiziellen und Freizeit-Aktivitäten, auf der Fahrt zum und beim Training/ Wettkampf zu tragen hat, was man tragen darf und was man nicht darf. Zum Beispiel ist ja Werbung jeglicher Art bei Olympischen Spielen verboten, aber auch die normalen Logos von Herstellern dürfen eine bestimmte Größe und Anzahl pro Kleidungsstück oder Materialteil nicht überschreiten.

Die Wettkämpfe sind die eine Seite, aber was macht man so in seiner „Freizeit“ bei den olympischen Spielen?

Während man beim Training und später bei einem Trainingswettkampf seinen Alltag hat, erkundetet man in seiner Freizeit die Möglichkeiten, die einem das Olympische Dorf und die angrenzende „internationale Zone“ so bieten. Die „internationale Zone“ ist ein Bestandteil des Dorfes, in welchem sich im Gegensatz zum Dorf auch akkreditierte Medienvertreter aufhalten können. Da gibt es Geschäfte, in denen man als Olympionike sogar wirklich sein Geld loswerden kann – zum Beispiel für Postkarten oder Souvenirs.

Seine Freizeit konnte man auch im Kraftraum, welchen ich nicht besuchte, oder in einer Art Spielhalle verbringen. Letztere hatte ich nur ein oder zweimal besucht, da sie eine anziehende Wirkung auf viele hatte. Irgendwie hatte man am Ende doch recht viel Zeit mit dem verbracht, weshalb man eigentlich auch dort war. Denn man konnte jeden Tag ein bis Zwei Stunden für die Fahrten zum Olympic Oval einplanen. Mit dem dazugehörigen Training war der Tag fast halb vorbei.

Wie war die Verpflegung vor Ort?

Neu war für mich, dass man zu fast jeder Tages- und Nachtzeit so viel Essen und Getränke bekommen konnte, wie man möchte und das ganze umsonst. Bei den Kaltgetränken vom großen Sponsor war es zu Beginn ein eigenartiges Gefühl, wenn man zu einem Automaten geht und anstatt Geld einwerfen zu müssen, einfach einen Schlüsselanhänger mit einem Chip anhält und man dann sein Wahlgetränk auswählt. Das Essen bot sehr viele Facetten, durch die internationale Küche konnte man immer etwas Neues probieren. Leider ist man am Ende dann doch oft bei einem anderen großen Olympiasponsor (bekannt für amerikanisches Schnellessen) gelandet, wo sich ein ähnlicher Effekt einstellte, wie bei den Getränkeautomaten nur halt ohne Chip.

Markus Eicher hat gestern seinen Damen ein Verbot für die Teilname an der Eröffnungsfeier gegeben. Wie war das bei Dir – warst Du damals dabei?

Dafür habe ich vollstes Verständnis. Auch ich hatte bereits einen Tag nach der Eröffnungsfeier meinen Wettkampf und sah mir die Eröffnungsfeier nur im Fernsehen an. Währenddessen habe ich meine „Eisen“ für den nächsten Tag präpariert.

Wie nervös warst Du vor Deinem ersten Start?

In der Nacht vor dem Wettkampf hatte ich zwar gut geschlafen, aber irgendwie mehrfach geträumt, dass ich den Start verpasse oder irgendetwas anderes Elementares falsch mache. Da man bei einem solchen Ereignis definitiv nichts falsch machen möchte, plant man alles mit Sicherheiten ein und prüft mehr als einmal, dass man alles dabei hat. Mein Rückversicherungskomplex ließ mich alles, was ich mehr als einmal hatte, auch doppelt mitnehmen und alles wurde natürlich double und crossgecheckt. Bei der Wettkampfvorbelastung auf dem Eis ist dann wieder alles Ritual und eingespielt, es fühlt sich an wie ein ganz normaler Wettkampf. Abseits des Eises, sieht das schon wieder ganz anders aus, da verspürte ich wieder dieses Kribbeln und die Anspannung. Als ich auf das Eis ging um meinen 5000m Lauf zu bestreiten, lief dann plötzlich alles wie in einem Film ab. Nur einmal ganz kurz als der Starter „Go to the start“ sagte, verspürte ich Kribbeln aufsteigen und dachte jetzt gibt es kein Zurück mehr und bloß keinen Fehlstart machen. Nachdem der Startschuss fiel, lief „mein Film“ weiter und ich verspürte keine Schmerzen, wahrscheinlich Adrenalin und Endorphin gesteuert, denn so schnell war ich noch nie annähernd über 5km unterwegs gewesen.

2010-01-22-3964]Hast Du schon während des Laufes gemerkt wie schnell Du unterwegs bist?

Kurz vor dem Ende dachte ich, wenn du keine Schmerzen spürst, bist du sicher zu langsam und brauchst dich am Ende nicht wundern, wenn es nicht unter die besten 16 und damit zur Teilnahme über 10km reicht. Glücklicherweise reichte es mit Platz drei sicher für die besten 16. Die anschließende Siegerehrung im Eisstadion und später auf dem Medals Plaza habe ich eigentlich gar nicht so richtig mitbekommen. Erst viel später zu Hause in Deutschland habe ich es realisiert, was da passiert ist. Es brauchte seine Zeit bis ich mich mit der Situation und der Medaille angefreundet hatte.

Hattest Du eigentlich auch Zeit Dir auch noch andere Wettkämpfe (außer ES) anzuschauen?

Auf jeden Fall wollte ich bei Olympia noch andere Wettkämpfe als die auf dem 400m-Oval sehen. Da meine nächsten Rennen (1500m und 10000m) über die gesamte Zeit der Olympischen Spiele verteilt waren, durfte ich nicht untätig sein und weitertrainieren. Es fand sich leider keine Zeit sich mal etwas wirklich Artfremdes anzusehen. Ich hätte mir sehr gern Biathlon, Ski-Langlauf,-Springen,- Alpin oder Bob und Rodeln angesehen. Da in unserem Appartement auch Shorttracker wohnten, war ich einmal abends beim Shortrack einer von 15.000 Zuschauern. Es war eine phantastische und ohrenbetäubende Stimmung – wahrscheinlich hatte es auch was mit dem Sieg eines Einheimischen zu tun.

An der Eröffnungsfeier konntest Du nicht teilnehmen. Wie sah es mit der Abschlussfeier aus?

Die Abschlussfeier stellte bei beiden Spielen einen Höhepunkt dar, da alle Anwesenden sehr entspannt sind. Kurz davor und auch danach werden Kleidungsstücke und (Ansteck-)Pins mit anderen Nationen getauscht. Für die vielen Freiwilligen geht genauso wie für die Sportler und Betreuer ein wunderbare Zeit viel zu schnell zu Ende, man möchte noch gar nicht nach Hause, aber wahrscheinlich es auch genau das, was Olympia ausmacht. Es sind eben nur zweieinhalb Wochen in vier Jahren.

Möchtest Du unseren Sportlern in Vancouver noch etwas sagen?

Ich wünsche Euch von Herzen viel Erfolg bei Euren Wettkämpfen und geniest die Spiele und die Erfahrungen.

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