Bei den olympischen Winterspiele stehen zu Recht die Sportler auf der Jagd nach Bestleistungen im Mittelpunkt. Ohne die zahlreichen Helfer und Offiziellen wären die Wettkämpfe aber nicht möglich. Zwei der Offiziellen im Eisschnelllauf in Peking kommen auch aus Deutschland. Ein guter Grund um diese Personen einmal in den Mittelpunkt zu rücken und vorzustellen.
Den Anfang macht heute Roland Steenbeck. Der Werdegang des Starters aus München zeigt sehr schön, dass es mehrere Wege gibt, um selber einmal an den olympischen Spielen teilnehmen zu können. Vielleicht mag dies ja auch Ansporn für den einen oder anderen Kampfrichternachwuchs in Deutschland sein?
Kurz und knapp: mein Name ist Roland Steenbeck. Ich komme aus Ottobrunn bei München, bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 8 und 12. Ich bin hier einer der internationalen ISU Starter bei den Olympischen Winterspielen bei den Eisschnelllaufwettbewerben. Ich bin seit Ende Januar in Beijing und werde im Verlauf der Spiele für die Männer-Wettbewerbe die Distanzen 500m, 1000m, 5000m sowie die Finalläufe von Massenstart und Team-Verfolgung starten.
Zum Eislaufen bin ich 1988 gekommen, als ich 11 Jahre alt war. Mein Vater hatte sich aus Holland ein paar lange Schlittschuhe besorgt, und nachdem es irgendwann im Öffentlichkeitslauf zu gefährlich wurde, hat er mich vorgeschoben und uns gemeinsam beim Münchener Eislaufverein angemeldet. Eislaufen konnte ich schon vorher, aber der Speed auf dem Eis hat mir richtig Spass gemacht und so habe ich meine Sportart gefunden.
Meine aktive Karriere startete mit den Deutschen Meisterschaften als D-Junior 1990 in Wilmersdorf, u.a mit einem Christian Breuer und Anni Friesinger in der Altersklasse. Ich habe mich gut im Mittelfeld versteckt und so war dann mit Ende der Schulzeit klar, dass ich mir zum Semmeln verdienen einen anderen Job suchen musste.
Aber der Sport hat mir in meiner Jugend so viel Spass gemacht und mir bei meiner Entwicklung geholfen, dass ich nach meiner aktiven Zeit unbedingt dem Verein wieder etwas zurück geben wollte – erst nur als Übungsleiter, später sogar als Trainer mit B Lizenz. Ich habe ein paar Kids das Schlittschuhlaufen beigebracht und bin auf diese Weise immer stärker in die Vereinsarbeit reingerutscht.
Nach der Ausbildung wurde unter der Woche aufgrund von Job die Zeit immer enger, so dass ich leider nicht mehr zuverlässig eine eigene Trainingsgruppe leiten konnte. Da hat es sich angeboten auf das Wochenende auszuweichen und bei den Wettkämpfen mitzuhelfen. Seit dem Jahr 1999 erstmals unter Anleitung eines erfahrenen Starters vor Ort, und dann kamen die ersten Starterkurse. Damals noch gemeinsam mit den Schiedsrichtern. Ich kann mich noch gut an diesen ersten Starterkurs in Grefrath erinnern. Damals fing es bereits an, dass mich die Rolle des Starters an Orte verschlagen hat, für die die eigene sportliche Leistung nie gereicht hat und die man ohne Bezug zum Eisschnelllaufen wohl auch nie besuchen würde. Nix für Ungut an meine Grefrather Freunde. (lacht)
Ehrlich gesagt gibt es als Starter keine „schwierigen“ Entscheidungen. Nur welche bei denen man mit sich zufrieden ist oder solche bei denen man hinterher sofort weiß, dass man einen Fehler gemacht hat.
Mit jedem weiteren Start fängt es wieder neu von Vorne an, und man hat ja keine Zeit nachzudenken. Wenn man erst anfängt nachzudenken und abzuwägen ist es schon zu spät und triff damit die Entscheidung implizit und immer genau in eine Richtung.
Damit man auch in kniffligen Situationen hinterher möglichst häufig mit seiner Entscheidung zufrieden ist, hilft natürlich in allererster Linie Erfahrung, Routine und die antrainierten Reflexe. Was mir aber auch immer sehr gut geholfen hat, war die offene Diskussion von solchen Situationen mit anderen Startern und auch mit den beteiligten Sportlern. Eine der wichtigsten Lern-Erfahrungen als Starter ist es anzuerkennen, dass es nicht die eine Wahrheit „Richtig oder Falsch“, “Fehlstart oder nicht“ gibt, sondern der Startvorgang aus unterschiedlichen Perspektiven (Sportler, Laufgegner, Trainer, Zuschauer, Starter, …) manchmal auch sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.
Da gibt es ganz viele Gründe! Ich kann meiner Sportart mit überschaubaren Zeitaufwand verbunden bleiben, man kann mit der Zeit durch jede Wiederholung und mit jedem Wettkampf als Erfahrung immer etwas dazu lernen und besser werden, auf dem Starterpodium ist man so nah dran am Geschehen wie sonst fast niemand an der Eisbahn.
Aber am meisten genieße ich es, Teil einer doch überschaubaren Eisschnelllauffamilie zu sein, Menschen und Orte kennenlernen zu dürfen, die man sonst nie kennenlernen würde. Und eine Aufgabe zu erfüllen, die einerseits sehr wichtig ist, aber andererseits dann am Besten ausgeführt wurde, wenn man am Wenigsten aufgefallen ist. Ich übernehme gerne Verantwortung, stehe aber nicht unbedingt gerne im Mittelpunkt. Mit der Zeit ist mir bewusst geworden, was mir diese Aufgabe alles bietet und sie ist mir richtig ans Herz gewachsen.
Es gibt nicht den „einen“ schönsten Wettkampf. Mit jedem Einsatz sind andere Erfahrungen verbunden.
Was mir aber noch heute mit Gänsehaut in Erinnerung geblieben ist, war mein allererster Einsatz auf einem WeltCup 2007 in Erfurt. Ich habe so überhaupt gar nicht damit gerechnet, diese Einladung von der ISU zu erhalten. Ich hatte auch keine Ahnung was mich da erwartet, wie so ein Wettkampf organisiert ist und wie alles abläuft. Aber ich wurde als Greenhorn so toll von den anderen Startern im Team aufgenommen, dass die Aufregung auf ein beherrschbares Maß zurückgegangen ist und ich habe so viel neues aufgesogen.
Ähnlich tolle Erinnerungen hängen natürlich auch an Einsätzen in legendären Arenen wie dem Vikingship oder in Thialf. Wenn 13.000 ansonsten lautstark jubelnde Eisschnelllauf-Verrückte auf einmal während deines Startkommandos so leise werden, dass man auf der gegenüber liegenden Geraden eine Stecknadel fallen hören würde … Wow!
Oder meine erste weitere Reise nach Russland an den Ural nach Tchelyabinsk – Minus 32 Grad draußen und auch dort 8000 begeisterte Fans in der Halle.
Der aktuelle Einsatz bei den olympischen Spielen in Beijing wird mir sicherlich auch in Erinnerung bleiben. Wegen der tollen Wettkampfstätten und der Mächtigkeit der Veranstaltung, aber auch wegen der z.T. so krass unwirklichen Rahmenbedingungen in diesem Land und der zusätzlich bestehenden COVID-Maßnahmen.
Aber es muss nicht immer die vermeintlichen Superlative sein. Wenn wir in unserem Verein zum Saison-Abschluss des von uns angebotenen „Eltern-Kind-Kurses“ ein 100m Spaß-Abschlussrennen veranstalten, die Kinder gegen ihre Eltern antreten und man hinterher über 7 Ecken erfährt, wie stolz die Kinder hinterher davon berichten, bei einem „echten“ Rennen mit einem „echten“ Starter und mit einem „echten“ Startschuss mitgemacht zu haben. Da weiss man, warum man diese Aufgabe gerne macht.
Da gibt es einen klaren Rat: Einfach anfangen, keine Scheu vor der Aufgabe, einfach drauf einlassen und sich von einem erfahrenen Starter an seiner Bahn an die Hand nehmen lassen. So hat jeder angefangen!
Versucht Euch von euer (ganz normalen) eigenen Aufregung wenig anmerken zu lassen, sondern strahlt den Sportlern mit Eurem gesamten Handeln eine Verlässlichkeit aus, die es den Läufern ermöglich, sich voll ganz auf ihr Rennen zu konzentrieren und auf Euch als Starter voll und ganz einzulassen. Wenn Ihr Eure Entscheidungen konsistent und konsequent trefft und damit für die Sportler berechenbar werdet, dann wird sich bald ein unsichtbares Band zwischen Euch und den Sportlern spannen und Euch als temporäres Team spürbar dabei helfen, auf Basis eines gegenseitigen Vertrauens einen perfekten Start ins Rennen zu ermöglichen.
Ich bin jetzt seit 5 Tagen in Peking, gerade haben die Wettkämpfe begonnen. Es war bei der puren Masse der Empfindungen sehr schwer, einen Einstieg in die Schilderung der eigenen Eindrücke zu finden.
Am Einfachsten sind da vielleicht noch die sportlichen Aspekte. Bei allen Teilnehmern, egal ob Sportler oder Officials, spürt man die Vorfreude auf große, wichtige Wettkämpfe und sieht den Stolz, Teil einer so großen Veranstaltung zu sein, als feuchten Glanz in den Augen. Die neue „National Speedskating Arena“ schafft für unsere Sportart eine neue Liga an Wettkampfstätte – sowohl was Funktionalität, Größe und Weite, als auch Architektur betrifft. Einfach bombastisch, und es wird das erste Olympic Oval seit 2002 Salt-Lake-City sein, dass nach den Spielen nicht wieder abgebaut oder umfunktioniert wird.
Großen Respekt habe ich vor all den vielen Menschen, die hier jeden Tag vor Ort im Stadion zu Diensten stehen und uns als sehr freundliche und hilfsbereite Gastgeber empfangen. Angefangen bei den unendlich vielen, stets winkenden und vermutlich unter ihren Masken stets freundlich lächelnden, in blau-weissen Uniformen gekleideten Volunteers, über die vielen, vielen angelernten Bahn- und Kurvenrichtern, die einen trotz Sprachbarrieren immer wissbegierig fragen und meistens auch verstehen, als auch zahlreichen chinesischen Eisschnelllauf-Freunden und Experten, die es uns gemeinsam erst ermöglichen, diesen Wettkampf so professionell durchzuführen. Und man muss sich immer vergegenwärtigen, dass für alle diese Teilnehmer die Spiele nicht mit dem letzten Zieleinlauf vorbei sind, sondern dass sie sich danach nochmal 3 Wochen in strenge Quarantäne begeben müssen, bevor sie wieder nach Hause und zu Ihren Familien dürfen.
Damit sind wir bei den besonderen COVID-19 Umständen angekommen, die sich niemand für diese Spiele ausgesucht oder gewünscht hat, aber die trotzdem allgegenwärtig den Alltag und die Abläufe bestimmen.
Die Ankunft am Flughafen war geprägt von den bekannten surrealen Bildern der dick vermummten, hinter ihren Schutzgläsern und Masken aber trotzdem freundlichen und hilfsbereiten Menschen. Die Angst vor dem Damokles-Schwert des positiven PCR-Tests bei der Einreise war spätestens beim Versammeln vor dem Gate am Abflug-Flughafen jedem anzumerken.
Keine einzige Maske saß locker-lässig unter der Nase, keiner wunderte sich darüber, wenn jemand sich dazu entschlossen hat, auf die Mahlzeit und den Tomatensaft während des Fluges zu verzichten. Die Corona-Maßnahmen sind hier allgegenwärtig, alle Stadien sind hermetisch in zwei verschiedene Bereiche aufgeteilt und den hierfür verwendeten Begriff „Closed Loop“ versteht man fast am besten, wenn man sich hierfür als „abgeschlossenen Kreislauf“ ein Bild vom radioaktiven Kühlwasserkreislaufs eines Atomkraftwerks vorstellt. Man kann weder durch Zufall noch absichtlich auf die „verkehrte Seite“ geraten, spätestens am inneren Zaun wird man von den zehntausendfach abgestellten Polizisten auch nonverbal sehr nachdrücklich daran erinnert, dass es an dieser Stelle zu Fuß nicht weitergeht. Auch wenn das Stadion direkt gegenüber des Hotels auf der anderen Straßenseite liegt, ohne den Shuttle-Bus ist es um Fuß genauso weit entfernt wie die Heimat in Deutschland.
So einschneidend und allgegenwärtig diese Maßnahmen auch sind, erst sie ermöglichen es, dass diese Spiele überhaupt stattfinden können, und so kommt doch tatsächlich jetzt nach ein paar Tagen täglichen PCR-Testens doch ein Gefühl der Sicherheit auf. Auch wenn man natürlich auch an jene denken muss, die es insb. bei der Einreise erwischt hat und für die der Traum von den Spielen von einem Moment auf den anderen umgeschlagen ist in eine Isolierung und Unsicherheit fern der Heimat – auch ein Mitglied des ISU-Offizellen-Teams hat es erwischt. Die Einschläge sind sehr nah. Das erzeugt Demut und diszipliniert.
Zum Abschluss muss man aber auch über den Eindruck sprechen, den unser Gastgeberland mit den Spielen politisch vermitteln will – Macht.
Vermeintliche Macht und Kontrolle über das Corona-Virus durch den unglaublichen Logistik-Apparat der Closed Loop.
Gezeigt Macht über die Menschen des eigenen Landes, die zu zig-Tausenden als „freiwillige“ zu den Spielen verpflichtet wurden, die es offensichtlich irgendwie akzeptieren, wenn Ihre Hauptstadt für mehrere Monate in vielen Stellen abgeriegelt und gesperrt wird, und die am Ende die Zeche für die Milliarden-teuren Investitionen in sehr schicke, aber mit 2 Wochen doch nur sehr begrenzt nutzbaren Spielstätten bezahlen müssen. Letztes ist sicherlich mit Beijing 2022 kein neues Problem, aber in Relation zum kommunizierten Nachhaltigkeitsanspruch doch ein krasser Widerspruch.
Gewünschte Macht über den Eindruck, den die Teilnehmer und die Welt von China wahrnimmt. Und welche Aspekte um so mehr unsichtbar bleiben sollen, indem sie einfach totgeschwiegen oder euphemistisch ins Gegenteil verklärt werden. Man muss als Teilnehmer dieser Spiele sehr darauf achten, dass man sich hier nicht instrumentalisieren lässt. Wobei dies vermutlich bereits dadurch geschieht, dass man überhaupt daran teilnimmt. Jeder muss für sich selbst die Grenze finden, wie weit man sich von der Euphorie der gerade heutzutage so wichtigen Völkerverständigung tragen lässt, und wo man bewusst kritische Distanz wart und sich versucht, nicht instrumentalisieren zu lassen. Ich persönlich finde es hier z.B. ein sehr gutes Zeichen, dass wir als Offizielle unserer Sportart und der ISU bewusst nicht die uns angebotenen Offiziellen-Einheits-Uniformen verwenden, sondern einheitlich in den Farben unseres Sportverbandes auftreten. Auch dies ist ein Zeichen, dass man sich distanzieren kann und sich dagegen wehrt, vollständig für fremde Ziele vereinnahmt wozu werden.
Mich erfüllt es durchaus mit Stolz und Demut, in dem nicht allzu großen Kreis der Eischnelllaufstarter inzwischen doch einiges erreicht zu haben. Ich habe stets versucht, mich auf meine Rolle einzulassen und während der Ausübung meiner Rolle mich ganz darauf zu konzentrieren. Aber ich habe nie aktiv dafür gekämpft oder erstritten, doch jetzt endlich den nächsten Schritt machen zu dürfen. Von daher gilt auch das gleiche wie bei den „schwierigen Entscheidungen“.
Es gibt keinen Schritt, den ich bereute oder falsch gemacht hätte. Vielmehr bin ich sehr froh, die Aufgabe mit Engagement ausgeübt zu haben und um so mehr freue mich zu sehen, wie weit ich damit gekommen bin. Genauso kann es anderen auch ergehen, wenn sie bereits sind, sich auf diese Aufgabe einzulassen.
Neben dem Sport habe ich zwei weitere wichtige Säulen, die mich tragen.
An erster Stelle natürlich die Familie mit zwei heranwachsenden Jungs und einer verschmusten Katze, die einen (zurecht) alles abverlangen und das Verständnis und die Geduld mitbringen, dass Mann und Papa im Winter dann doch das eine oder andere Wochenende nicht da ist bzw. sich in den Kopf gesetzt hat, inmitten der stärksten Corona-Welle unbedingt wochenlang mit tausenden anderen Menschen aus der ganzen anderen Corona-Welt ausgerecht nach China reisen zu wollen.
Zum anderen verdiene ich meine Semmeln als Manager von IT-Projekten einer Großbank, d.h. ich darf insbesondere dafür Sorgen, dass die Nutzer in den Fachbereichen und die Experten im IT-Bereich sich nicht jeden Tag gegenseitig die Köpfe einschlagen (lacht).
Ich bin davon überzeugt, dass mir in allen drei Bereichen eine gewisse Gelassenheit auch in Stresssituationen, eine grundsätzlich positive Denkweise und eine gute Entschlusskraft durchaus von Vorteil sind.
Vielen Dank Roland für das Gespräch!